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Strahlenwirkung, biologische

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Irene Kramer-Schwenk

BiophysikKernphysik, Wirkung von ionisierender Strahlung im Organismus, die aus einer Reihe von physikalischen, chemischen, biochemischen und biologischen Prozessen bestehen kann.

Von den vielen Wechselwirkungen ionisierender Strahlung mit der Zellmaterie sind lediglich Ionisation und Anregung von Bedeutung, da dabei das getroffene Molekül zerbrechen kann. Die entstandenen Bruchstücke reagieren chemisch anders als das Ursprungsmolekül, und es können neue Verbindungen entstehen. Sind diese toxisch, wird der Schaden noch verstärkt. So kann z.B. ein Wassermolekül einer Zelle in Wasserstoffperoxid umgewandelt werden, das bereits in kleinen Konzentrationen ein Zellgift ist. Die veränderten oder neu entstandenen Moleküle, deren biochemische Funktionsfähigkeit gestört oder gänzlich verloren gegangen ist, können repariert (z.B. Einzelstrangbrüche bei der DNS) oder über den Stoffwechsel der Zelle entfernt werden.

Die physikalischen Primäreffekte und die daraus folgenden chemischen Sekundäreffekte können schliesslich zu einem biologischen Bestrahlungseffekt führen: Die Zelle zeigt ein verändertes biologisches Verhalten oder ist nicht mehr funktionsfähig. Das führt jedoch nicht in jedem Fall dazu, dass der Schaden nach aussen erkennbar wird. Der menschliche Körper besitzt – wie alle anderen Lebewesen auch – die Fähigkeit, geschädigte oder nicht mehr funktionsfähige Zellen zu erkennen und mit Hilfe des Immunsystems zu bekämpfen und abzubauen. Der biologische Bestrahlungseffekt bleibt dann ohne gesundheitliche Konsequenz für den betroffenen Menschen. Versagt das Abwehr- bzw. Reparatursystem oder wird es überfordert, kommt es zu einem Strahlenschaden, der sofort oder erst nach einer längeren Zeit offenbar werden kann.

Grundsätzlich gilt, dass der Zellkern (Zelle) empfindlicher auf ionisierende Strahlen reagiert als das Zellplasma, da der Kern die makromolekularen Informationsspeicher (DNS), die die vielfältigen Zellfunktionen steuern und regeln, enthält. Die biologische Wirkung stellt man deswegen auch bevorzugt an Zellen fest, die sich zum Zeitpunkt der Bestrahlung zu teilen beginnen oder sich in der Teilungsphase befinden, weil dann die Reparaturmechanismen nur ungenügend wirksam sind. Eine hohe Zellteilungsrate findet sich z.B. im Embryo, bei der Produktion roter Blutkörperchen oder in den Schleimhautzellen im Magen-Darm-Trakt.

Man unterscheidet zwischen somatischen Schäden, die beim bestrahlten Individuum auftreten, und genetischen Schäden, von denen nicht nur die direkten Nachkommen, sondern auch spätere Generationen betroffen sind. Die somatischen Schäden werden in Früh- und Spätschäden unterteilt, letztere noch einmal in maligne (bösartige) und nicht maligne (nicht bösartige) Spätschäden. Hier treten die am Gesamtorganismus beobachteten Krankheitssymptome erst Jahre oder Jahrzehnte nach einer Bestrahlung mit ionisierenden Strahlen auf.

Die Strahlenschäden sind mit der empfangenen Strahlendosis (Dosis) verknüpft. So zeigt sich an behaarten Hautstellen, die mit einer Dosis von etwa 6 Gy bestrahlt wurden, zunächst ein Erythem und nach einigen Wochen Haarausfall (Epilation). Die Epilation ist durch Strahlenschädigung der Haarfollikel bedingt. Falls die Strahlenbelastung nicht zu einer starken Schädigung des Epithels führte, setzt der Haarwuchs nach mehrwöchiger Erholzeit wieder ein. Eine grössere Strahlenexposition der Augen (> 15 Sv) kann zu Linsentrübungen führen. Sie tritt frühestens einige Monate, manchmal auch Jahre nach dem Strahleninsult auf. Bei einer intensiven Einwirkung ionisierender Strahlen auf den Gesamtkörper tritt eine von der Dosis abhängige Änderung des Blutbildes auf. Bei Versagen des die Erythrozyten bildenden Gewebes erkrankt der Mensch an Anämie. Wurde durch die Strahlenwirkung das rote Knochenmark zu stark in Mitleidenschaft gezogen, entsteht Leukopenie. Die dadurch geschwächten Abwehrkräfte im Körper können bereits bei Infekten zum Tode führen. Ganzkörperdosen < 6 Sv sind ebenfalls tödlich. Eine Strahlenbelastung der Hoden führt bei einer Dosis < 5 Gy zur vorübergehenden Sterilität (bis zu 24 Monate) und bei Dosen > 5 Gy zur Dauersterilität. Bei Frauen hängt die Beeinträchtigung der Fruchtbarkeit vom Lebensalter ab. Wachstumshemmungen bei Kindern treten ab einer Dosis von 3 Sv auf, Wachstumsstop bei Dosen von etwa 10 Sv, was auf eine Schädigung der Knochen zurückzuführen ist. Sofern Strahlenexpositionen bestimmte Grenzen überschreiten, haben sie bei Mensch und Tier ein vorzeitiges Altern zur Folge und wirken lebensverkürzend. Modellrechnungen ergeben für eine Person, die vom 18. bis zum 60. Lebensjahr in einem Kontrollbereich einer Äquivalenzdosis von 50 mSv ausgesetzt wird, eine Verkürzung der Lebenszeit um 200 Tage. Es ist bekannt, dass durch lokale Bestrahlungen mit Dosen von ca. 40 Gy Karzinome entstehen können. Diese Strahlenschäden tauchen erst viele Jahre (10-30 a) nach der Bestrahlung als Spätschäden auf. Bei nicht bösartigen Spätschäden wie Sterilität oder Trübung der Augenlinse kann davon ausgegangen werden, dass eine Mindestmenge an Strahlung auf den Körper einwirken muss (Schwellendosis). Dabei können jedoch auch wiederholte Einzelbestrahlungen mit Dosen unterhalb des Schwellenwerts zu Spätschäden führen. Bei bösartigen Spätschäden wie Leukämie oder Tumoren ist diese Schwellendosis sehr klein oder es gibt überhaupt keine Schwelle. Das bedeutet, dass auch einzelne Strahlungsteilchen oder Gammaquanten Krebs auslösen können, wenn z.B. die getroffene Zelle vorbeschädigt oder das Immunsystem des Körpers geschwächt ist. Karzinome haben eine gewisse Latenzzeit (siehe Tab.), wobei Leukämie am schnellsten ausbricht.

Strahlenwirkung, biologische: Mittlere Latenzzeit von Tumoren beim Menschen nach Strahleneinwirkung.

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Organ bzw. Tumorart

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Latenzzeit [a]

Blut (Leukämie)

10-15

Schilddrüse

20,3

Blase

20,7

Brust

22,6

Hals und Nacken

22,8-24,1

Kehlkopf und Rachen

23,4-27,3

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Haut

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24,5-41,5

 

Strahlenwirkung, biologische: Einige Arten ionisierender Strahlung, Energie der primären bzw. sekundären geladenen Teilchen und deren lineare Energieverluste in biologischem Gewebe.

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Art

Masse

Ladung

Erzeugung

Energie [MeV]

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lineare Energieverluste

in weichem Gewebe

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Ionenpaare pro Mikron

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eV / nm

a (Strahlenwirkung, biologische)

4

+2

Kernzerfall

1-5,5

9 000-3 700

300-120

p (Proton)

1

+1

Beschleuniger

8-150

380-50

13-1,7

b-

0,000 59

-1

Kernzerfall,

Betatron

0,5-3

20-30

8,5

8,5

0,3

0,3

Röntgenstrahlung

0

0

Röntgenröhre

0,01-0,15

400-15

13-0,5

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Neutronen

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1

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0

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Kernreaktionen

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0,07-50

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1 000 000-100

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30 000-3,3

 

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