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Turbulenz

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Hermann Loring

Strömungsmechanik, Strömungszustand, bei der die Strömung von einer wirbelnden Vermischung gekennzeichnet ist, die bis auf kleinste Skalen reicht. Selbst bei stationären Randbedingungen ist das Strömungsfeld einer turbulenten Strömung daher im Prinzip instationär. Den Gegensatz zur turbulenten Strömung bildet die laminare Strömung, bei der die Flüssigkeitsschichten unterschiedlicher Strömungsgeschwindigkeit übereinander gleiten. Der Unterschied zwischen laminarer und turbulenter Strömung kann leicht durch etwas Farbe demonstriert werden, die der Strömung punktförmig zugegeben wird. Bei der laminaren Strömung entsteht ein glatter Farbfaden, der sich auf Grund von Diffusion und Dispersion nur wenig verbreitert. Im Gegensatz dazu zerfasert der Farbfaden in der turbulenten Strömung schon nach kurzer Strecke und die Farbe vermischt sich gleichmässig über den gesamten Strömungsquerschnitt. Eine exakte messtechnische Erfassung kann nur für laminare Strömungen erfolgen, bei turbulenter Strömung können nur statistische Kenngrössen ermittelt werden. Ähnlich entziehen sich turbulente Strömungen in der Regel einer exakten rechnerischen Behandlung, wodurch viele der Gesetzmässigkeiten turbulenter Strömungen auch heute noch empirischen Charakter besitzen. Für laminare und turbulente Strömungen werden dementsprechend vollständig unterschiedliche Gleichungen erhalten.

Der Umschlag von laminarer zu turbulenter Strömung erfolgt abhängig von der Oberflächenrauhigkeit der die Strömung begrenzenden Wände bei bestimmten sog. kritischen Reynolds-Zahlen. Beispielsweise ist die Strömung in einem Rohr unterhalb einer Reynolds-Zahl von Turbulenz (v: Strömungsgeschwindigkeit, d: Rohrdurchmesser, n: kinematische Viskosität) laminar, darüber kann sie turbulent werden (Rohrströmung). Die Verteilung der Strömungsgeschwindigkeiten über den Rohrquerschnitt ist bei der turbulenten Strömung wesentlich verändert gegenüber der laminaren Strömung, für die hier das Hagen-Poiseuillesche Gesetz gilt. Dabei ist im turbulenten Fall unter Strömungsgeschwindigkeit immer die zeitlich gemittelte Strömungsgeschwindigkeit zu verstehen. Das Profil der Strömungsgeschwindigkeit verläuft insgesamt flacher. Auch der Druckabfall entlang des durchströmten Rohres verläuft turbulent verschieden vom laminaren Fall. Der Druckabfall im Rohr wird nicht wie im laminaren Fall im wesentlichen durch die Viskosität, sondern durch die Trägheitswirkungen verursacht. Er ist daher nicht proportional zur mittleren Strömungsgeschwindigkeit, sondern proportional zu einer höheren Potenz der über dem Strömungsquerschnitt gemittelten Strömungsgeschwindigkeit (7 / 4 bei inkompressibler Strömung in hydraulisch glatten Rohren, Rohrwiderstandsgesetz).

Die turbulente Strömung lässt sich als Überlagerung einer gleichmässigen stationären Grundströmung und einer unregelmässigen instationären Störströmung verstehen. Die Strömungsgeschwindigkeiten in der Störströmung sind dabei klein gegen die der Grundströmung. Der Turbulenzgrad ist dann als Verhältnis der Strömungsgeschwindigkeit in der Grundströmung zum zeitlichen Mittelwert der Strömungsgeschwindigkeit in der Störströmung definiert. Turbulenzgrade grösser als 5 ‰ können mit Hilfe des Strömungswiderstandes einer Kugel, darunter mit Hitzdrahtmethoden, bestimmt werden (Anemometer).

Die Bewegungsgleichungen der turbulenten Strömung können auf der Grundlage dieser Modellvorstellungen aus den Navier-Stokes-Gleichungen erhalten werden, indem man für die Strömungsgeschwindigkeit Turbulenz mit Turbulenz einführt. Bildet man dann in den Navier-Stokes-Gleichungen die zeitlichen Mittelwerte, so wird bei Beachtung der Kontinuitätsgleichung die sog. Reynolds-Gleichung erhalten.

Turbulenz entsteht immer dann, wenn grosse Gradienten der Strömungsgeschwindigkeit quer zur Strömungsrichtung vorhanden sind. Dies ist z.B. innerhalb der Prandtlschen Grenzschicht, bei der Umströmung von Körpern an der Grenze zwischen Totwasser und Aussenströmung und bei freien Flüssigkeitsstrahlen der Fall. Im letzten Fall spricht man von freier Turbulenz. Der Strömungswiderstand in turbulenten Strömungen ist wesentlich grösser als in laminaren Strömungen. In vielen Fällen ist man daher bestrebt, die Strömungen laminar zu halten und den Umschlag von laminarer zu turbulenter Strömung zu vermeiden. Damit sind Massnahmen zur Vermeidung der Grenzschichtablösung verbunden (Grenzschichtabsaugung). Ein weiterer Effekt der Verwirbelung in turbulenten Strömungen ist, dass die Vermischung innerhalb der Strömung gegenüber der laminaren Strömung wesentlich erhöht ist. Dies ist insbesondere bei den atmosphärischen Strömungen (atmosphärische Dynamik) wichtig, bei denen die Vermischung in der Troposphäre hauptsächlich durch turbulente Strömungen erfolgt.

Die Entstehung der Turbulenz ist bis heute theoretisch nicht befriedigend verstanden. Es wurden verschiedene Ansätze mit unterschiedlichem Erfolg unternommen. Die Methode der kleinen Schwingungen (Schwingungen, kleine) wurde zunächst auf die voll ausgebildete Laminarströmungen angewendet, jedoch ohne Erfolg. Insbesondere die Existenz der kritischen Reynolds-Zahl konnte nicht nachvollzogen werden. Die ausgebildeten Laminarströmungen erwiesen sich auch bei beliebig grossen Reynolds-Zahlen als stabil. Spätere Untersuchungen wendeten die Methode auf die im Entstehen begriffene Strömung an. Dabei konnte eine kritische Reynolds-Zahl abgeleitet werden. Diese hat demnach ihre Ursache nicht darin, dass die ausgebildete Laminarströmung instabil wäre, sondern dass die Zustände, die bei der Entstehung der voll ausgebildeten Laminarströmung durchlaufen werden müssen, instabil sind. Die Instabilität wäre demnach also keine Eigenschaft des jeweiligen Zustandes, sondern seiner Vorgeschichte.

Die statistischen Methoden unterteilen die turbulente Strömung in sog. Turbulenzzellen mit wechselnder Grösse und statistischer Anordnung. Innerhalb der Turbulenzzellen gehorcht die Strömung den Navier-Stokes-Gleichungen, kann jedoch auf Grund der extrem komplizierten Randbedingungen, welche durch die benachbarten Turbulenzzellen gegeben ist, nicht berechnet werden. Aus diesen Modellvorstellungen kann dann nicht die Strömung im einzelnen gewonnen werden, aber die Wahrscheinlichkeit, mit der bestimmte Eigenschaften realisiert sind (Spektrum der Turbulenzzellen). Diese Methode ist jedoch auf isotrope, d.h. richtungsunabhängige Turbulenz beschränkt, wie man sie z.B. im Abstrom von Gittern oder Sieben findet. Neuere Impulse kommen aus der Chaostheorie (Chaos), für die Turbulenzphänomene eine der Wurzeln war.

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