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Bohr-Einstein-Dialog

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Julian Schultheiss

langjährige Diskussion zwischen N. Bohr und A. Einstein über Charakter und Bedeutung der statistischen Interpretation der Quantenmechanik.

Die Bedeutung dieses Dialoges liegt neben seinem wissenschaftlichen Inhalt vor allem darin, dass hier in einzigartiger Weise die Einflussnahme und die Wechselwirkung zwischen physikalischen und weltanschaulich-erkenntnistheoretischen Ideen beobachtet werden kann. Bohr war, nicht zuletzt geprägt durch seinen philosophischen Hintergrund, zu dem insbesondere die Ideen Kants mit seiner Frage "Was können wir wissen?", Kierkegaard und Williams zu zählen sind, der Vordenker, Mitinitiator und entschiedenster Vertreter der Kopenhagener Deutung der Quantenmechanik, der zufolge

-der statistisch-indeterministische Charakter der Theorie kein Ausdruck experimenteller Unzulänglichkeiten oder aber der Existenz bisher unbekannter verborgener Parameter ist, sondern einen gegenüber der klassischen Physik veränderten Realitätsbegriff zum Ausdruck bringt.

Demgegenüber war Einstein, neben seinen wissenschaftlichen Überzeugungen gleichfalls stark durch seine weltanschaulichen Überzeugungen (Hume, Spinoza) und seine freien religiösen Vorstellungen geprägt, nicht bereit, den Indeterminismus der Quantentheorie als endgültiges Charakteristikum einer vollständigen Theorie zu akzeptieren, was er in seinem berühmten Wort "Der Alte würfelt nicht" zum Ausdruck brachte. Einstein, der mit einer Reihe früher Arbeiten, insbesondere derjenigen zum Photoeffekt (1905), mit der er die Vorstellung der korpuskularen Natur des Lichtes begründete, und der statistischen Interpretation der Planckschen Strahlungsformel (1916) zu den Gründern der Quantentheorie zu zählen ist, und der ein Gratulationsschreiben an Heisenberg nach dem Entwurf der Matrizenmechanik 1925 noch mit "In aufrichtiger Bewunderung, Ihr A. Einstein" unterschrieb, änderte bald darauf seine Haltung zu dem neuen Formalismus der Theorie; für ihn bedeutete die Quantenmechanik

-ein heuristisches Konzept, das zum gegebenen Zeitpunkt das beste Mittel zur Beschreibung mikroskopischer Prozesse war, letztendlich aber von einer vollständig deterministischen Theorie abgelöst werden würde.

In der Zeit nach 1925 versuchte er, innere Widersprüche der indeterministischen Interpretation der Quantenmechanik nachzuweisen, wobei er insbesondere mit Bohr als dem Spiritus Rector der Kopenhagener Deutung in eine von gegenseitigem Respekt geprägte Diskussion trat. Dieser Dialog erwies sich für die Deutung der Quantentheorie als fruchtbar, da Bohr durch Einsteins Einwände immer wieder aufs Neue gezwungen war, die erkenntnistheoretischen Implikationen der Theorie, für die er das Begriffstripel der Korrespondenz (Korrespondenzprinzip), der Komplementarität und der Individualität atomarer Vorgänge entwickelt hatte, auf ihre Konsistenz zu prüfen und so zu festigen. In immer neuen Gedankenexperimenten versuchte Einstein, Situationen zu entwerfen, die aufzeigen sollten, dass der indeterministische Charakter der Kopenhagener Interpretation zu inneren Widersprüchen führt; Einwände, die Bohr stets entkräften konnte, wobei er jedoch gezwungen war, den quantenmechanischen Realitätsbegriff und seine direkten Folgen, so z.B. die den Prinzipien der Speziellen Relativitätstheorie scheinbar widersprechende Nichtlokalität gewisser Prozesse, zu überdenken und zu präzisieren.

Die Peripetie der Auseinandersetzung trug sich auf der Solvay-Konferenz 1930 zu. Einstein hatte "wie die Teuferln in der Box" (P. Ehrenfest) wieder ein neues Gedankenexperiment zur Widerlegung der Unschärferelation ersonnen. In diesem Versuch wird zunächst die Energie eines strahlungserfüllten Kastens unter Ausnutzung der Äquivalenz von Masse und Energie durch Wägen genau bestimmt, dann durch eine Lochblende Strahlung emittiert, wobei die Zeitpunkte von Öffnen und Schliessen der Blende mit einer Uhr präzise bestimmt werden. Anschliessende nochmalige Wägung des Kastens erlaubt die Bestimmung der Energie des emittierten Lichtes, so dass, im Widerspruch zur Unschärferelation, Energie und Zeitpunkt der Emission eindeutig bekannt sind. Die Wirkung dieses gedanklichen Konstrukts auf Bohr hat Ehrenfest plastisch beschrieben: "Für Bohr bedeutete dies einen schweren Schlag. Im Augenblick sah er keine Lösung. Den ganzen Abend war er äussert unglücklich, ging von einem zum andern und versuchte alle zu überreden, dass es nicht wahr sein könne, denn es würde das Ende der Physik bedeuten, hätte Einstein recht. Doch er konnte keine Widerlegung finden. Ich werde niemals den Anblick vergessen, den die Gegner beim Verlassen des Universitätsklubs boten. Einstein, eine majestätische Gestalt, ging ruhig mit einem leicht ironischen Lächeln, und Bohr trottete neben ihm, höchst aufgeregt." Am nächsten Morgen hatte jedoch Bohr den Widerspruch aufgelöst: Der Gang der Uhr ist von ihrer Position im Gravitationsfeld abhängig, diese Position ist jedoch hinreichend unbekannt, so dass die daraus resultierende Unschärfe von Energie und Zeit die Einhaltung der Unschärferelation garantiert.

Diese Episode markiert den Wendepunkt im Dialog zwischen Bohr und Einstein. Im Anschluss hieran suchte Einstein nicht mehr den direkten Dialog mit Bohr bezüglich dieser Problematik. 1935 veröffentlichte er jedoch im amerikanischen Exil gemeinsam mit B. Podolsky und N. Rosen eine Arbeit mit dem Titel "Can Quantum-mechanical Description of Reality be Considered complete?", in der mittels eines Gedankenexperiments, das die Nichtlokalität der Quantentheorie deutlich herausstellte, der Beweis für die Verneinung der im Titel der Arbeit gegebenen Frage versucht wurde (EPR-Paradoxon). Bohrs unmittelbar folgende Antwort, die unter dem gleichen Titel veröffentlicht wurde, zeigte jedoch, dass auch dieses Paradoxon im Rahmen der Quantenmechanik zu keinen Inkonsistenzen führt.

Damit war zwar die Diskussion zwischen Bohr und Einstein zu diesem Thema beendet, und die innere Konsistenz der Kopenhagener Deutung wurde im wesentlichen nicht mehr angezweifelt; die Fragestellung hingegen, ob diese Deutung der Quantentheorie die einzige sei, die mit dem Formalismus der Theorie und mit der experimentellen Erfahrung vereinbar ist, hat in der Folge ihre Aktualität nicht eingebüsst. Einige Ansätze zu einer alternativen Interpretation des quantentheoretischen Formalismus, z.B. die Vielwelten-Interpretation von Everett und Wheeler und die Interpretation im Rahmen der Bohm-Theorie, wurden aufgestellt, und die 1964 veröffentlichten Bellschen Ungleichungen ermöglichten die experimentelle Untersuchung der Nichtlokalität auf der Basis des EPR-Paradoxons, wobei sich gerade in den letzten Jahren im Rahmen verfeinerter Methoden der Quantenoptik neue Möglichkeiten eröffnen, von deren Ergebnissen neue Impulse zur Klärung der statistischen Natur der Quantentheorie zu erwarten sind. [JS2]

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