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Spiele und Spielzeug

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Karl-Wilhelm Steinfieber

Physik im Alltag, Phänomenbereich der Alltagsphysik mit Anwendungen aus allen klassischen (s.u. 1.-5.) und einigen modernen (s. z.B. 6.) Gebieten der Physik. Es folgen Beispiele, die typisch für diese Gebiete sind und zugleich dafür, dass erst deren Zusammenhang viele Spiele physikalisch erschliesst.

1. In der Mechanik ist das klassische Beispiel der Spielzeugphysik der Kreisel. Abb. 1 belegt das grosse Interesse bei Physikern, und Abb. 2 zeigt eine besondere Form, den »Kelt«.

Eine Anwendung der Stossgesetze liefert das Verhalten von zwei unterschiedlich schweren »Superbällen« nach Abb. 3: der leichtere kann zusammen mit dem anderen Ball bis zu 9 mal höher springen als wenn man ihn allein fallen liesse. Da die kinetische Energie T des Gesamtsystems sich zu T = 1 / 2 mv2 berechnet, verhalten sich die Geschwindigkeiten des leichteren Balls direkt vor (va) und nach (vn) dem Aufprall wie va : vn = 9. Der Grund ist, dass beim Stoss zweier sehr unterschiedlicher Massen Spiele und Spielzeug für die Geschwindigkeit von ml im Ruhesystem von ms annähernd vn = -va gilt, wenn sie zuvor +va war; also bewegt sich ms nach dem Aufprall mit vn,s = -v gegenüber dem Boden, und ml mit vf,l = -2v gegenüber ms (die Relativgeschwindigkeit ist nach dem Aufprall von ms auf dem Boden und vor dem Zusammenprall zwischen ml und ms gleich 2v); insgesamt bewegt sich also (bei exakt kollinearem Stoss) ml mit 9v gegenüber dem Boden.

2. Für Flugspielzeuge braucht man aus der Aerodynamik die gesamte Physik von Auftrieb, Magnus-Effekt und Bernoulli-Effekt.

Eine weniger bekannte Auswirkung von letzterem ist bei der Trillerpfeife zu hören, wo die kleine Kugel im Bauch der Pfeife durch den »Bernoulli-Sog« des darüber entweichenden Luftstroms bewegt wird. Dies führt zur

3. Akustik: Auch beim Heulrohr (siehe Abb. 4) beginnt die Erklärung beim Bernoulli-Effekt, durch den ein Luftstrom zum rasch bewegten Ende in Gang kommt (Geschwindigkeit v), periodisch an den Rillen (Abstand d) gestört wird und in Resonanz mit den Eigenfrequenzen (fn) kommt, wenn v = d fn erfüllt ist. Die Störungen an den Rillen selbst gehorchen deutlich komplizierterer, nichtlinearer Physik (Wirbel- und Turbulenzbildung). Insgesamt ist zur Erklärung der vielen Klang- und Geräuschspielzeuge die Akustik in ihrer ganzen Breite nötig.

4. Für den Elektromagnetismus seien nur die Spielzeuge mit Magneten und Elektromotoren erwähnt.

5. Optik und Wärmelehre: Es gibt eine Unzahl optischer Spielereien, von verzerrenden und täuschenden Spiegeln bis zu Stereogrammen und Hologrammen. Besonders interessant ist die Lichtmühle (siehe Abb. 5) – historisch wegen einiger Fehler berühmter Physiker und physikalisch, weil sie erst durch die Kombination von Optik und Wäremlehre verständlich wird. Als Radiometer, d.h. durch den Strahlungsdruck und damit mit einem Drehsinn von den hellen zu den dunklen Flächen, dreht sie sich nur bei sehr guten Vakua (frühe Fehlvorstellung von u.a. Maxwell). Aber auch die Erklärung des umgekehrten Drehsinnes bei den handelsüblichen Lichtmühlen durch die Temperaturdifferenz über den Flächen (Vorschlag von Reynolds) greift zu kurz. Zwar ist richtig, dass die Teilchen über der warmen (schwarzen) Fläche mehr Impuls übertragen, aber dies wird durch die geringere Dichte exakt kompensiert (Beweis von Maxwell). Nur im Randbereich der Flächen gilt dies nicht (Idee von – einmal mehr! – Einstein), da sich dort die Gasdichten über der schwarzen und der hellen Fläche angleichen, aber immer noch Moleküle aus dem wärmeren (kühleren) Bereich über der Mitte der schwarzen (hellen) Fläche auftreffen. Es resultiert eine mittlere Differenz des Impulsübertrags, die die beobachtete Bewegung bewirkt.

6. Für die nichtlineare Dynamik, ebenfalls in Verbindung mit der Wärmelehre, liefert eine spielerische Illustration von Prinzipiellem der Bewegungszyklus der »Trinkente« an einem Glas Wasser. Die Trinkente besteht aus zwei Glasbehältern, »Kopf« und »Bauch«, die eine bei Umgebungstemperatur siedende Flüssigkeit, den »Schnaps«, enthalten und mit einem Rohr verbunden sind, bei dem in annähernd waagrechter Position der Schnaps frei fliessen kann, weil die Dampfräume in Bauch und Kopf verbunden sind.

Bei Phase 1 taucht der Schnabel dieser Ente ins Wasser und der Schnaps läuft vom Kopf in den Bauch, bis dieser in Phase 2 das Übergewicht bekommt und die Ente sich aufrichtet; in Phase 3 verdunstet das Wasser von der Filzschicht auf dem Schnabel und senkt so die Temperatur, so dass der Schnaps kondensiert und langsam wieder zu Kopfe steigt, bis dieser in Phase 4 seinerseits das Übergewicht bekommt und die Ente wieder ins Wasser taucht. Ohne Beachtung weiterere Details sind mindestens drei Grundprinzipien zu erkennen: a) Die mechanische Arbeit entsteht nicht aus dem Nichts, sondern aus einer Nicht-Gleichgewichtsverteilung einer Substanz (dem Wasser im Glas, das sich bei der Verdunstung verbreitet). b) Durch Substanzströme (ebenso durch Energieströme) im Nichtgleichgewicht können sich dissipative Strukturen, hier zeitlicher Art, ausbilden. c) Bei der Ausbildung dieser Strukturen spielen negative Rückkopplungen (Verdunstung wirkt der Vertikalposition entgegen, Abfliessen der Horizontalposition), d.h. nichtlineare Prozesse, eine Rolle. (Ricochet, Alltagsphysik, Sport und Sportgeräte)

Spiele und Spielzeug

Spiele und Spielzeug 1: Bohr und Pauli bei der Untersuchung eines Aufstehkreisels (Quelle: aip Emilio Segrè Visual Archives).

Spiele und Spielzeug

Spiele und Spielzeug 2: Der »Kelt« oder »keltische Wackelkreisel«, hier aus einem Tennisball: Die Asymmetrie der Drehbewegung entsteht durch (versteckte) Asymmetrie der Massenverteilung. a) Seitenansicht, b) Draufsicht.

Spiele und Spielzeug

Spiele und Spielzeug 3: Aufprall zweier »Superbälle« auf dem Boden.

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Spiele und Spielzeug 4: Heulrohr.

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Spiele und Spielzeug 5: Lichtmühle mit einem drehbar aufgehängten System von geschwärzten und blanken Glimmerblättchen (unten).

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